Katrin Pechstädt & Magdalena Schlögl in Kooperation mit den AOS-Referat „Jungforscher:innen-Förderung“ und den vorgestellten Forscher:innen der Handlungswissenschaft
In unseren Blogbeiträgen Occupational Science im Praxisalltag von Ergotherapeut:innen im Fachbereich Pädiatrie und Begriffe der OS im Kontext von Covid-19 haben wir unterschiedliche Begriffe der Occuaptional Science (wie Betätigungsdeprivation, Handlungsrollen, Betätigungsbalance, …) vorgestellt, die Ergotherapeut:innen u.a. dabei unterstützen ihr professionelles Tun für Angehörige anderer Berufsgruppen oder Stakeholder und Kostenträger verstehbar zu machen.
Doch damit wir die handlungswissenschaftlichen Erkenntnisse in der (ergotherapeutischen) Praxis umsetzen können und dass es OS-Begriffe gibt, die unsere Argumentationsgrundlage hinsichtlich unseres ergotherapeutischen Tuns unterstützen, brauchen wir Forschende, die menschliche Handlung und Menschen als Handelnde in ihren Forschungsarbeiten untersuchen.
Mit diesem Blogbeitrag möchten wir einzelne OS-Forscher:innen und OS-Forschungsarbeiten vorstellen, um einen Überblick zu geben, was sich im Bereich der Handlungswissenschaft national und international so tut.
Forscher:innen im Bereich der Occupational Science
Hans Jonsson ist seit 1977 ausgebildeter Ergotherapeut; er erlangte im Jahr 2000 seinen PhD und befasst sich bereits seit 33 Jahren mit Themen rund um Occupational Therapy sowie Occupational Science in Lehre und Forschung. Seit mehr als 15 Jahren leitet Hans Jonsson Masterstudiengänge der Occupational Science sowie PhD-Courses derselben Disziplin. Handlungswissenschaftliche Konzepte wie „Occupational Balance“ und die Zielgruppe „Ältere Personen“ stehen dabei oftmals im Zentrum seiner Forschungstätigkeiten.
Auch Gary Kielhofner war ein Ergotherapeut, der im Laufe seiner Berufsausbildung Interesse am theoretischen Grundlagenwissen der Ergotherapie sowie der Occupational Science fand. Nach seinem Master of Arts degree in Occupational Therapy absolvierte er ein Doktoratsstudium im Bereich Publich Health, wodurch er den Titel Doctor of Public Health (Dr.P.H.) erlangte. Gemeinsam mit Janice Burke generierte Gary Kielhofner das bekannte Model of Human Occupation (MOHO), das bis heute in der Forschung sowie Praxis der Occupational Science und Ergotherapie Anwendung findet.
Gail Whiteford ist aktuell als strategische Professorin für Allied Health and Community Wellbeing an der Mid North Coast LHD von NSW Health und der CSU tätig. Vorab hatte sie leitende Positionen an Universitäten in Australien und Neuseeland inne. Gail Whiteford war Australiens erste Pro- Vizekanzlerin für soziale Eingliederung an der Macquarie University.
Im Bereich der Ergotherapie und Occupational Science ist Gail Whiteford bereits über 20 Jahre aktiv. Sie ist bekannt als Vordenkerin sowie als international bekannte Forscherin und Wissenschaftlerin. Sie erhielt 2017 eine der höchsten australischen Auszeichnungen für Ergotherapie, den Freda Jacobs Award. Whiteford ist Gründungsmitglied der Occupational Therapy Australia Research Academy und ist derzeit Vorsitzende der OTA Research Foundation.
Clare Hocking war die erste Professorin an der Auckland University of Technology (Neuseeland) für den Bereich Occupational Science and Therapy, wo sie heute noch lehrt. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen: Gesundheitsförderung sowie Menschenrechte und Gerechtigkeit. Clare Hockings Ziel ist es, die Handlungswissenschaft und Ergotherapie weiterzuentwickeln, in dem ihre Arbeit auf Praktiker:innen, Akademiker:innen, Forscher:innen und Student:innen auf nationaler und internationaler Ebene wirkt. Sie ist Mitautorin der 3. Auflage von Wilcocks Occupational Perspektive of Health, Mitherausgeberin von Occupational Science: Society, Inclusion, Participation und seit 1997 Herausgeberin des Journals of Occupational Science.
Aber auch national gibt es einige Vertreter:innen, die sich schon lang mit Handlungswissenschaft auseinandersetzen.
Ursula M. Costa ist als Ergotherapeutin und Forscherin in Ergotherapie, Gesundheits-, Therapie- und Handlungswissenschaften bekannt und aktiv. Ihre interdisziplinär und partizipativ ausgerichtete Forschungstätigkeit begann in den 1990er Jahren im Rahmen der Univ. Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Innsbruck. Nach Absolvierung ihres Masterstudiums in Ergotherapie 1999 an der Boston School of Occupational Therapy setzte sie ihre berufliche Tätigkeit in einer Verbindung von Praxis, Lehre und Forschung in Österreich fort. Seit 2007 baut Ursula M. Costa in Kooperation mit regionalen, nationalen und internationalen Partner:innen, Forschung und Entwicklung am Studiengang Ergotherapie und Handlungswissenschaft an der fh gesundheit auf. Seit mittlerweile 10 Jahren leitet sie den von ihr mit einem interdisziplinären Entwicklungsteam konzipierten Master of Science in Ergotherapie und Handlungswissenschaft. Im Jahr 2014 promovierte Ursula M. Costa nach Studien in Erziehungswissenschaften und komplementären Therapieansätzen in Public Health (PhD) an der UMIT in Wien und Hall in Tirol.
Mona Dür ist aktuell an der Amsterdam University of Applied Sciences am Master of Science in Occupational Therapy beschäftigt und Geschäftsführerin von Duervation. Vorab leitete sie den Masterstudiengang Angewandte Gesundheitswissenschaften an der IMC Fachhochschule Krems, und war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Medizinischen Universität Wien. Sie leitete mehrere Forschungsprojekte und war die erste Ergotherapeutin, die an der Medizinischen Universität Wien ein PhD Studium absolvierte. Sie beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt mit dem handlungswissenschaftlichen Konzept “Betätigungsbalance”. Einer ihrer Artikel über die Definition und Messung der Betätigungsbalance wird weltweit in der Ausbildung und Weiterbildung von Ergotherapeut:innen und Handlungswissenschafter:innen verwendet.
Mona Dür ist Gründungsmitglied und seit 2021 Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Handlungswissenschaft (AOS).
Verena C. Tatzer ist ausgebildete Ergotherapeutin. Sie schloss im Jahr 2008 das Studium „European Master of Science in Occupational Therapy“ ab und erhielt 2017 den Titel Dr.phil. an der Alpen Adria University Klagenfurt; IFF Vienna, Institut for Palliative Care & Organisational Ethics. Seit 2010 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Von 2013 bis 2015 arbeitete Verena C. Tatzer im Projekt „Demenzfreundliche Apotheke“ in Wien und NÖ mit. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen zumeist die Fachbereiche Geriatrie und Psychiatrie. In dieser Dissertation wurde das Erleben von Aktivität und Partizipation von Menschen mit mittelschwerer und schwerer Demenz, die in Langzeitpflegeeinrichtungen leben, erforscht. Darüber hinaus wurde ein besseres Verständnis über die Rolle von Aktivität und Handlung in der Identitätskonstruktion und Generierung von Sinn und Bedeutung erlangt.
Sarah Kufner & Nadine Scholz-Schwärzler, Initiator:innen des empowerment-projects, glauben an eine soziale Transformation durch Handeln und verstehen sich als aktive Change Agents und Health Promoter. Sie setzen sich für eine Stärkung der Ergotherapie als Profession ein, für das Erleben und Wissen um Zugehörigkeit (belonging) sowie einer fortlaufende Potenzialentfaltung der Professionsangehörigen, die für Gesundheit und Wohlbefinden, Selbstbestimmung, Betätigungsgerechtigkeit und Teilhabe sowie Handlungsfreiheit von Menschen in allen Lebensphasen arbeitet.
Das empowerment-project wurde 2017 von den beiden Ergotherapeut:innen aus Bayern ins Leben gerufen. Als „participatory occupational space“ werden seit inzwischen fünf Jahren Raum, Zeit und Anlässe angeboten, in denen Kolleg:innen sowohl proaktiv an Forschung, Lernen und Lehre teilhaben können, als auch ihre eigene Gesundheit und ihr Wohlbefinden durch eine Stärkung der Zugehörigkeit (belonging) zur Profession, wie auch durch deren Mitgestaltung (doing) proaktiv weiterentwickeln. Als „meaningful collective action“ treten dadurch auch Praxisalltag und Occupational Science in den Handlungsdiskurs.
Forschungsarbeiten und Forschungsprojekte im Bereich der Handlungswissenschaft
Auch im Bereich der OS-Forschungsarbeiten tut sich (inter-)national einiges, weswegen wir euch hier auch einige ausgewählte Arbeiten vorstellen wollen.
Beginnen möchten wir mit der OS-Forschungsarbeit von Hannes Außermaier. Im Zuge des Masterstudiums Master of Science in Ergotherapie und Handlungswissenschaft an der fhg/Tirol erhielt er ein Forschungsstipendium und die Möglichkeit an einem multidisziplinären Projekt mitzuarbeiten. Das Ziel des Projektes war die Entwicklung eines interaktiven Routing-Tools für Rollstuhlnutzer:innen, das ermöglichen sollte, Barrieren im öffentlichen Raum zu umfahren. Dazu mussten die Barrieren im öffentlichen Raum zuerst aus der Sicht der betroffenen Menschen erhoben und beschrieben werden. Mobilitätseingeschränkte Menschen wurden so als Expert:innen intensiv in die Erstellung und Optimierung des digitalen Barriere-Informations-Systems eingebunden.
In der Masterarbeit, die als Paper im Journal IJHP publiziert wurde, beschrieb der Forscher die Barriereerfahrungen von Betroffenen aus ergotherapeutischer und handlungswissenschaftlicher Sicht. Diese Masterarbeit zeigt uns, wie wichtig es ist, dass Ergotherapeut:innen sich als Gesundheitsfürsprecher:innen im Sinne der Betätigungsgrechtigkeit für Barrierefreiheit im öffentlichen Raum einsetzen.
Bei Interesse gibt es hier die gesamte Masterarbeit zum Nachlesen:
🔗 https://bond.azw.ac.at/opacdata/0010206768.pdf oder https://sciendo.com/es/article/10.1515/ijhp-2016-0017
“Welche Veränderung der Handlungsrollen beschreiben betreuende Partner:innen innerhalb der ersten zwölf Monate und frühestens drei Monate nach Rückkehr ins häusliche Umfeld einer Person, die erstmalig einen Schlaganfall hatte? Wie zeigen sich diese Rollenveränderungen? “ – dieser Forschungsfrage wurde von Stefanie Jenni in ihrer Masterarbeit im Rahmen des MSc-Studiums in Ergotherapie und Handlungswissenschaft an der fh gesundheit (Tirol) nachgegangen. Die Masterarbeit von Stefanie Jenni verdeutlicht, dass sich eine Veränderung im Alltag (wie Schlaganfall des:der Partner:in) auf die Handlungsrollen von Menschen auswirkt. Dies sollte von Ergotherapeut:innen im Praxisalltag – insbesondere im Hinblick auf Angehörigenarbeit – unbedingt mitgedacht werden, um Partner:innen von Klient:innen bei diesem Betätigungsübergang zu unterstützen und in ihren neuen Handlungsrollen und -möglichkeiten zu stärken.
Bei Interesse findest Du die gesamte Masterarbeit hier zum Nachlesen:
🔗https://bond.azw.ac.at/opacdata/0010034811.pdf
Natalie Gätz verfolgte in ihrer explorativen, handlungswissenschaftlichen Studie im Rahmen des Masterstudiums (OT-EuroMaster) das Ziel, die Bedeutung des Rauchens im Alltag von vier Teilnehmer mit COPD zu erfassen. Rauchen trägt zum Erhalt der Tagesstruktur bei und ist in dieser fest verankert – eine Gewohnheit, die bei den Teilnehmern schon seit vielen Jahren als bedeutsame Betätigung eine Rolle spielt. Bedeutung entsteht für die Teilnehmer dieser handlungswissenschaftlichen Studie auf Basis subjektiver Wahrnehmung von Genuss, Freude, Wohlbefinden und Belohnung – und so bleibt das Rauchen für die vier Teilnehmer der Studie eine genussvolle und bedeutungsvolle Betätigung im Alltag.
Im Rahmen des Projekts „gemeinsam gesund seestadt“ unter Beteiligung von Daniela Schlager-Jaschky und Danielle Belleflamme geht es darum, präventive Angebote, die handlungswissenschaftlich begründet sind, zu integrieren.
Der Fokus der Angebote liegt auf der Betätigung Spiel in allen seinen Facetten. Es geht sowohl um Wissensvermittlung als auch das ‚erlebbar machen‘ der Bedeutung von Spiel sowie den Zusammenhang von (der bedeutungsvollen Betätigung) Spiel und Gesundheit/Wohlbefinden.
Besonders erwähnenswert ist das international geförderte Programm P4Play, bei dem es auch um das Thema „Spiel“ geht. P4Play, das Marie-Sklodowska-Curie-Stipendien im Rahmen eines Joint Doctorate Program in Kooperation mit der University College Cork sowie der Queen Margaret University, Edinburg vergibt, ermöglicht Jungforscher:innen, im Rahmen von PhD- Arbeiten das Thema Spiel u.a. aus handlungswissenschaftlicher Sicht zu beleuchten:
Im Rahmen dieses Programmes erforscht Thomas Morgenthaler „Spiel im Freien“, als zentrale Handlung im Alltag von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung.
Ziel des handlungswissenschaftlichen Forschungsprojektes von Thomas Morgenthaler ist die Entwicklung eines evidenzbasierten Instruments zur Evaluierung der Umweltqualitäten auf Spielplätzen. Der Fokus des Instrumentes liegt darauf, die Betätigung „Spiel“ am Spielplatz zu ermöglichen, indem man identifiziert, welche Umweltfaktoren zu einem hohen Spielwert beitragen.
Ziel der Forschungsarbeit von Dr. Karen McCarthy im Rahmen von P4Play ist es, die Erfahrung des Spielens als Handlung von Erwachsenen zu erforschen und das Phänomen „Spiel und Erwachsene“ handlungswissenschaftlich zu beleuchten. Zu “Spiel” als auch “Verspieltheit von Erwachsenen” gibt es in der Ergotherapie und Handlungswissenschaft bisher aber nur wenig Forschung. Die Erforschung des Spiels von Erwachsenen ist jedoch ein wichtiger Aspekt für das Verständnis von menschlicher Handlung und deren Verbindung zum Wohlbefinden.
Allison Mula befasst sich als PhD-Studentin im Rahmen von P4Play mit dem handlungswissenschaftlichen Thema “Gender & Play Occupation”.
Diese Forschung zielt darauf ab, neue Erkenntnisse über den Raum und den Ort zu gewinnen, den das Spiel für Kinder schafft, um die sozialen Diskurse über Geschlecht zu konzipieren, zu kommunizieren, in Frage zu stellen und/oder zu verstärken.
Die Handlungswissenschaft war und ist eine aktiv beforschte Landschaft. Oft sind deren Erkenntnisse direkt wieder in die Ergotherapie zurückgeflossen und beeinflussen den Praxisalltag von Ergotherapeut:innen. Oft genug war aber auch das Fehlen von Erkenntnissen der Grund, warum OS-Forschung begonnen wurde und Erkenntnisse generiert wurden. So zeigt sich doch immer wieder, dass Praxis nie von Forschung und Theorie losgelöst sein kann. Und auch für die Praxis heißt das, neugierig bleiben und falls es handlungswissenschaftliche Phänomene gibt, die man nicht erklären kann: FORSCHEN!